von larissa boehning

Die Schwedischen Familien, die alle zusammen hierher fahren, weil sie in der ländlichen Gegend weiter süd-westlich vor knapp 10 Jahren jeweils ein Kind aus einem Waisenhaus adoptiert haben. You have to know your roots, sagt der Schwede ruhig und freundlich, als Erklärung für die Reise, die sie jetzt gemeinsam machen, um ihren Kindern ihren Geburtsort zu zeigen.

Wie Barbara und ich plötzlich mit dem Gedanken beschäftigt sind, wie sich das schwedische Mädchen, das aus dem Waisenhaus adoptiert worden ist, fühlen muss, wenn es an den Ort zurückkehrt, wo seine leibliche Mutter es abgegeben hat. Dankbarkeit, dass du jetzt so ein anderes Leben hast? Vielleicht auch Scham: Warum ich und nicht die anderen hier? Auf jeden Fall eine Zerrissenheit, glauben wir zu erahnen, eine Hybridität, die immer bleiben wird: Waisenkind und absolutes Wunschkind, Mädchen in einer mädchenfeindlichen Kultur und selbstbewusste schwedische Frau, bäuerliche Vorfahren, das Aufwachsen in einer schwedischen Stadt etc.

Ich rieche, dass ich anders rieche. Es muss mit dem, was ich esse und trinke zu tun haben. Ich rieche jetzt wahrscheinlich so, wie der Geruch, den ich wahrgenommen habe, als ich in Amsterdam ins Flugzeug nach Peking stieg, als eine der wenigen Westler unter fast ausschließlich Chinesen, und es einfach anders gerochen hat, nach anderen Ausdünstungen, anders nach Knoblauch, nach anderem Schweiß, nach einem einfach anderen Körperlichsein.

Stoße durch Zufall auf den Reisebericht von George Ernest Morrison, der als Australier 1895 durch den Süden Chinas gereist ist. Darin lese ich den Satz: „Medicine,“ says the Chinese proverb, „cures the man who is fated not to die“ und muss laut lachen.

Die chinesischen Harley-Davidson-Fahrer, die mir in einer Gruppe von sechs, sieben entgegen fahren auf ihren Harleys, aber aus der Nähe wie höfliche Rocker-Doubles aussehen, die spielen, Rocker zu sein; denn dafür sehen sie einfach zu klein und schmal und nett aus –, auch wenn sie mit einigem Grimm versuchen, ihre Totenkopf-Kopftücher, Lederjacken und Harley-Brillen verwegen zu tragen.

Immer wieder die Erdbeerfelder, auf denen die Arbeiter zwischen den Reihen hocken und die Pflanzen durch die schwarze Abdeckfolie ziehen, Reihe für Reihe, Feld für Feld. Und weiter hinten brennen sie Feuerlöcher ins Gras, der Rauch ist dicht wie Nebel, es stinkt, und es ist nicht auszumachen, nach welchem System der Boden verbrannt wird.

Diese beißende Armut, die wehtut, wenn man sie aus der Nähe sieht. Und wie ich plötzlich nachvollziehen kann, warum man alles dafür tut – über Leichen geht, korrumpiert, auch die Natur zerstört – um da raus zu kommen, um nicht mehr Gemüse am Straßenrand zu verkaufen; sondern endlich, wie so viele andere in einem SUV sitzen will, neben einer Klimaanlage, hoch oben über dem Boden, raus aus dem Lärm, dem Staub und der Hitze.

Wir gehen den Weg hoch zum Moon Hill – ein großes Loch in einem Sandsteinberg – und unten, am Fuß der Treppe, steht eine kleine alte Frau, Fan erkennt sie als Mama Moon. Eine bekannte Persönlichkeit hier in der Gegend. Sie umarmt Fan herzlich, dass sie sie erkannt hat.
Als sie mich fragt, woher ich komme, und ich es ihr sage, holt sie ein altes Kalenderbuch heraus und zeigt mir die Einträge und Grüße von Deutschen. Dabei sagt sie in einem fort: Dankeschön, Bitteschön, Auf Wiedersehen.

Wir gehen auf Papier, denke ich, Bambusblätter, wie Papyrusblätter, die selbe Textur, darauf Muschelglanz, ganz wunderbares Material, und ich sammle diese Blätter, bemerke, dass sie auf der Rückseite dunkel behaart sind, aber sammle immer weiter. Als ich wieder unten bin, rufen die alten Frauen, die dort versammelt sind: Away, away, away. Als hätte ich etwas Giftiges bei mir. Kurz darauf juckt es mich überall, die kleinen Härchen, sie haben sich auf meine Haut gesetzt, und ich verstehe, was die alten Frauen meinten.

My Little Fellows, steht unter den niedlichen Tiger-Katzen-Gesichtern, die auf die Umhängetasche gedruckt sind, die die Frau im Markt quer über der Schulter trägt. Sie steht an dem Stand, an dem hinter den Käfigen mit den Hasen, Gänsen und Hühnern, die Käfige mit den Katzen stehen; und ich stocke, verhake mich darin, ob ihr diese Ironie bewusst ist, die darin steckt, – natürlich nicht, sie verkauft einfach lebende Tiere auf dem Markt.

Ich fahre mit dem Fahrrad in die Stadt, fädele mich erst noch höflich und vorsichtig ein, dann merke ich schnell, ich muss genauso dreist, zackig, entschieden und dennoch umsichtig fahren wie alle, sonst komme ich hier nicht weit. Und während ich so dahinradle, auch fleißig klingele, wenn ich jemanden überhole, das Hupen der Mopeds, Tuck-Tucks und Busse mit Rufen abwehre, rasant überholte usw., denke ich: Hier lernt man wirklich, sich abzugrenzen. Sich durchzusetzen. Wenn ich das alles hier persönlich nehmen würde, deshalb Rücksicht nähme, freiwilliger Verzicht, ich lass dich vor, weil ich bin ja kein Ellenbogenmensch, wenn ich also vorsichtig und empfindlich wäre, ich wäre längst verrückt geworden hier.

Kein Chinese trägt einen Helm auf dem Moped und auf den Vespas, niemand, bei durchschnittlich fünfzig Stundenkilometern, die alle fahren. Aber vor den Pony-Reit-Anlagen, wo man auf Shetlands im Schritttempo im Kreis geführt wird, werden auf langen Tischen die typischen schwarzen Reithelme verkauft – und auch getragen.

Die junge Chinesin vor dem Cocktail-Laden, deren Stimme irgendwie ordinär klingt, und so, als befehle sie ihren etwas antriebsarm wirkenden Freund herum, will ein Foto von sich mit mir hinten drauf haben. Sie legt sich ihre Haare zurecht, wieder und wieder, spitzt den Mund, macht Posen, und ich stehe im Hintergrund wie bestellt und nicht abgeholt – und fange den kritischen Blick ihres Freundes auf, den das ganze Selfie-Fotografieren seiner Freundin an sich arg zu nerven scheint. Und ich kann ihn verstehen.