Alchemistisches Echo
von larissa boehning
Geschichtenerzählen ist wirklich Alchemie. Es erinnert mich an irgend etwas. Vielleicht, was ich vom Nähen kenne. Man hat alle Teile abgepaust auf Kopierpapier, auf den Stoff gelegt und ausgeschnitten. Es ist ein Wirrwarr, aber es liegt vor einem. Man kann es richtig zusammensetzen, dann kommt ein funktionierender Mantel dabei heraus, den man gerne trägt, in dem man sich wohlfühlt. Man kann sie falsch zusammensetzen, unsauber arbeiten und der Mantel wird untragbar. Die ganze Mühe umsonst.
Aber es ist so viel komplizierter. Geschichtenerzählen gehört zum anspruchsvollsten Handwerk, das wir Menschen für uns erfunden haben. Vielleicht ist es das anspruchsvollste. Es ist alles gleichzeitig: Vernunft und Alchemie. Rationalität, Wissen und Ahnen, Spüren, Vertrauen. Zweifeln, Verwerfen, Neufinden. Wie: tausend Mal etwas zusammennähen und wieder auftrennen. Aber gar keinen Schnitt haben.
Die Geschichte, die in einem steckt, finden. Aber sie zeigt sich nicht. Sie muss gerufen werden. Im Echo, da ist sie da.
Der Vergleich von Schreiben und Mantelschneidern gefällt mir, er erinnert mich an Uwe Timm, der seine Arbeit ganz eng verwandt mit dem Handwerk sieht, das er einmal gelernt hat. Schreiben ist wie Pelze vernähen, sagt er. Wichtig ist, auf das Material zu hören, ihm zu gehorchen: „Ich habe ein altes Handwerk gelernt, das heute fast ausgestorben ist: die Kürschnerei. Wie die Felle sortiert wurden, nach Farbe, nach Rauche, wie sie kompliziert zusammengeschnitten, ausgelassen, genäht wurden, wie schadhafte Stücke ersetzt wurden, all das war zu lernen, es ging um Erfahrungen und Kenntnisse, die von Meistern an Gesellen und Lehrlinge weitergegeben wurden, die man aber auch anhand alter Mäntel und Stolen studieren konnte. Und zu der Arbeit gehörte ganz wesentlich, dem Material zu gehorchen, bestimmte Formen waren nicht zu erzwingen, sondern nur durch die Schnitttechnik zu entwickeln.“ (aus: Uwe Timm. Schreiben lernen)